Peter Brake, Sohn des letzten Binger Gefängnisvorstehers, erzählt aus seinen Erinnerungen (2021).
Mit freundlicher Genehmigung von Peter Brake, verbunden mit unserem Dank für diesen Einblick in eine den meisten Bingern von innen nicht bekannte Einrichtung.
Nun etwas aus meiner Erinnerung. Das Bild ist sehr alt, denn es fehlen einige Anbauten. Wie man an den Fenstern erkennt sind die Mauern der Fenster sehr dick, es wurden zum Bau Bruchsteine verwendet. Wenn nicht Ende Okt angefangen wurde zu heizen, wurde das Gebäude nicht warm.
Zum Gefängnis: bevor mein Vater das Gefängnis übernahm , war der Dienststellenleiter “Vater Raab”. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht. (wahrscheinlich hiess er auch Raab).
Bingen als Kleinstadt hatte ja auch seine Kleinganoven und wenn man diese einige Zeit nicht sah, so hiess es, der sitzt bei “Vater Raab” (gemütlich).
Einzelheiten des Bildes: ich fange mal unten an. Rechts und unten sieht man die Fenster der Dienstwohnung. Links, das Wohnzimmer, dann schließt sich das Esszimmer an, es hatte einen großen runden Tisch mit Eckbank. Danach kam das Elternschlafzimmer. Wenn man aus dem Esszimmer raus auf den Flur ging, war rechts die Küche, geradeaus ging es ins Bad. Rechts davon war das Kinderzimmer.
Über der Dienstwohnung waren die Zellen; drei, mit jeweils zwei Stockbetten. Über diesen waren dann noch zwei Zellen, vor dem Fenster die Sichtblende. Auch war da unter dem Dach noch eine kleine Werkstatt und ein weiterer Raum, der dann später als Kinderzimmer ausgebaut wurde, für meinen älteren Bruder.
Aus dem Dachfenster konnte man Richtung Weiler sehen. So, wieder runder, den Hauseingang kann man auf dem Bild nicht sehen. Tür auf und rein. Rechts ging es runter in den Keller; Heizungsraum, Koksdampfheizung, und Vorratsraum. Aus dem Keller hoch, Links, dann die Gefängnisküche, dann die Treppe hoch zum Zellentrakt und Büro. Auf diesem Gang war auch die Toilettenanlage, da die Zellen keine Toilettenanlage und Waschgelegenheit hatten. Während der Nacht wurde das Bedürfnis in Kübel gemacht, die dann morgens entleert und gereinigt wurden.
Um das Haus rechts war ein Garten, dahinter die Waschküche und das Badehaus. Hinter dem Haus waren ein Hühnerhof und Stallungen. Dort wurden jedes Jahr zwei Schweine gehalten, die dann im Herbst geschlachtet wurden, Hausschlachtung. Links vom Haus war der Holzhof, später dazu mehr.
Alltag im Binger Gefängnis, bekannt als “Bollesje”
Nach dem Kübeln (Ausleeren der Klo-Eimer) und Frühstück (Malzkaffe, Brot und Zentismarmelade) begann der Tagesablauf.
Das Binger Gefängnis war eigentlich eine Außenstelle der Strafanstalt Mainz mit acht Zellen. Da Strafgefangene arbeiten mussten hatte mein Vater die Idee “Bündelholz” herzustellen. Bündelholz wurde aus Schwartenholz hergestellt, kleingeschnitten und dann dünn gehackt und mit einer Vorrichtung gebündelt. Bündelholz diente dazu den Ofen anzuzünden. Ich hatte die Aufgabe dieses an Privathaushalte anzuliefern, verdiente damit immer ein paar Groschen. Ansonsten wurde das Bündelholz an die Firma Raab-Karcher verkauft. Einmal hatten wir ein Binger Original einsitzen; Fränzchen, nicht arbeitsfreundlich. Mein Vater sagte ihm, Fränzchen, heute gehst auch du in den Holzhof. Fränzchen antwortete : ”Herr Brake, wissen Sie, ich duue lieber im liehe esse, als im stehe schaffe.” Einmal kam ich aus der Schule heim, da hatte sich einer den Daumen an der Kreissäge abgeschnitten. Der Daumen lag dann in der Mülltonne.
Ausbruch: zwei sind abgehauen.
Die Schwartenbretter wurden im Innenhof an der Mauer gestapelt. Zwei sind auf die Idee gekommen mit der Kreissäge Bretter kleinzuschneiden und sich eine Leiter zu bauen. Diese wurde dann auf die Bretter an der Gefängnismauer gestellt. Hurra die Gans, ein Sprung nach unten. Einer brach sich das Fersenbein, der Andere flüchtete in die Cronstraße. Gefangene wurde auch ausgeliehen an Weinbauern zur Arbeit in den Weinbergen. Nach der Arbeit kamen sie schon mal etwas angeheitert zurück, Bacchus war schuld. Später kam neue Arbeit dazu. Auftraggeber war ein Weingut unten auf der Gaustraße, gegenüber der Schlossbergstraße. Es ging dabei um Korken zu bedrucken, die Maschine wurde unter dem Dach in einem Raum untergebracht. Wenn sie lief, war es ganz schön laut. Das Gefängnis hatte also gute Einnahmen, soviel, dass das Dach, als es neu eingedeckt werden musste, aus diesen Einnahmen bezahlt werden konnte.
Alltag, Wochenende, Feiertage.
Sonntags, 10-12 vormittags war Hofgang. Es gab eine Tischtennisplatte.
Gegenüber dem Gefängnis war das Gasthaus “Zum U-Boot”. Pächter Herr Aldenhofen, bekannt für seine ½ Hähnchen.
Ich erinnere mich, einmal gab es am 1. Weihnachtstag für alle Insassen eines, Beilage Fritten und Salat, gespendet von der Binger Geschäftswelt. Am heiligen Abend kamen immer die Geistlichkeiten der zwei Kirchen vorbei und brachten Weihnachtstüten mit. Danach waren alle Zellentüren offen bis zum Einschluss.
Alle 14 Tage war Einkauf. Meinem Vater war aufgefallen, das einige immer wieder Klosterfrau Melissengeist bestellten: Tja, damit haben sie sich einen Rausch verpasst 🙂 Wurde dann gestrichen von der Einkaufsliste. Manche hatten auch einen privaten “Einkäufer”, mich! Tabak bei Erdmann auf der Schmittstraße zu kaufen. Der hat mich dann bei meinem Vater angeschissen, das gab Stress…
Einmal hatten wir einen Gefangenen aus dem Kreis Bingen, ein älterer Herr, Besitzer einer Schreinerei, der musste dringend nach Hause. Deal: Freitag Abend bis Sonntag Abend, Risiko, aber mein Vater ging es ein. Sonntag Abend war er wieder da. Wie ich schon schrieb, netter alter Herr. Im Binger Gefängnis saßen keine schweren Jungs ein.
Hunsrücker Bauernbrot.
Da mein Vater immer versuchen musste günstig einzukaufen (es gab pro Tag nur 1.50.- DM für Verpflegung pro Person), entdeckte er in Stromberg die Brotfabrik – das beste Brot, was ich jemals gegessen habe! Die Brote wurden alle in Holzbacköfen gebacken. Auch hatten die Streuselkuchen. Die Abschnitte (Ränder) gab es immer kostenlos, die gab es dann in den Pausen mit Kaffee. Koch des Gefängnisses war mein Vater mit einem Gehilfen. Jeden Tag wurde frisch gekocht, die Insassen waren zufrieden, was sich in Mainz rumsprach. So war die Wunschadresse bei einer Verlegung oft das Binger Gefängnis.
Später wurde dann das Gefängnis geschlossen und mein Vater wurde als Verwalter der JVA nach Bad Kreuznach versetzt.
Noch eine lustige Geschichte zur Binger Polizei.
Die Herren, wenn sie mit ihrem Käfer auf Streifenfahrt waren, machten gerne einen Stopp in der besagten Kneipe „Zum U-Boot“. Leider hatte man vergessen den Zündschlüssel abzuziehen. Oh Schreck, als die “Pause” vorbei war, war auch der Käfer weg. Gefunden hatte man ihn dann vor der Wache am Draisbrunnen auf der Mainzerstraße.